Die Entstehung von Wandel

Eintrag 2 |

Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem ersten Eintrag „Worüber reden wir hier eigentlich?“, war „Wandel bestimmt unser Sein“. Veränderung passiert also einfach. Es geht gar nicht ohne. Aber wie entsteht denn dieser Wandel in uns? Macht es plötzlich „klick“ oder schleichen sich heimlich neue Muster ein, die dann immer spürbarer werden? Was sind die Auslöser für die Entscheidung, etwas anders zu machen?

Nach zahlreichen Gesprächen im persönlichen Umfeld und etlichen Sitzungen mit Klient*innen im Karrierecoaching haben sich zwei Antworten nach dem Grund für Veränderung herauskristallisiert:

a) Weil ich was ändern will.

b) Weil ich was ändern muss.

Manche Veränderung scheint wie von selbst in uns zu keimen und zu wachsen, wie ein zartes Pflänzchen, das langsam zum starken Baum wird und schließlich blüht und Früchte trägt (a)). Das liegt zum Beispiel vor, wenn man wie Grisu, der kleine Drache, einen lang gehegten Herzenswunsch in die Tat umsetzt.

Abbildung 1: Grisus Veränderung (eigene Darstellung)

Dank eines guten Plans und eines eisernen Willens schafft Grisu es, seinen Herzenswunsch, Feuerwehrmann zu werden, wahr zu machen (zumindest in meiner Vorstellung). Was hier so einfach aussieht, war ein gewaltiger Kraftakt, denn er hatte wenig Unterstützung aus seinem Elternhaus. Der abgebildete, stark vereinfachte Plan, beinhaltet diesen Umstand noch nicht. Über die Rolle des Umfelds in Veränderungsprozessen wird es einen gesonderten Blogeintrag geben, genauso wie über den Umgang mit Hürden. Besonders schön hat sich im o. g. Beispiel für den Protagonisten ergeben, dass er bei der Überwindung seiner größten Herausforderung tatsächlich eine Stärke entdeckt hat. Auch das lasse ich als kleinen Vorgeschmack auf das, was noch in zukünftigen Einträgen kommt, einfach mal so stehen.

Manchmal scheint da aber auch kein innerer Impuls für Wandel zu sein, bis man bei ein bisschen Wind rausgeht, die Brise immer frischer wird und sich zum Sturm aufbaut. Plötzlich, bei einer besonders starken Böe, bricht der Wandel wie ein fallender Baum über uns herein und zwingt uns zur Seite zu springen oder uns zu ducken – sprich: unsere Position zu verändern (b)).

Abbildung 2: Veränderung von außen, die zum Positionswechsel zwingt

Im Foto anbei ist das – um in der Metapher zu bleiben – sehr schön durch einen Baum an den Kreidefelsen auf Rügen verkörpert. Er trotzt der erosionsbedingten Veränderung seiner Umwelt und wächst in eine andere Richtung weiter. Vermutlich ist die Lösung nicht nachhaltig, war aber in diesem Fall schätzungsweise der einzige Ausweg. Das Thema, Veränderungen, die von außen über einen hereinbrechen, resilient zu gestalten, wird sicher noch häufiger im Morphogenetischen Blog aufgegriffen.

Soviel zur Unterscheidung der eingangs genannten Veränderungsimpulse. Eines haben beide gemeinsam: Sich auf Wandel einzulassen, bringt gewisse Vorteile. Veränderung zuzulassen, ist klug. Und Voltaire gleich hinterher geschoben: „Alle Menschen sind klug – die einen vorher, die anderen nachher.“

Während sich die eine Leserin jetzt vermutlich entspannt zurücklehnt und ihre stetige Veränderungsbereitschaft innerlich abfeiert, mag der andere Leser sich zeitgleich vollkommen im Dunkeln tappend innerlich selbst nach diesem Gefühl absuchen, aus dem die Veränderung wie von selbst zu kommen scheint („Liebes Dr. Sommer-Team, ich spüre „den Klick“ nicht – was stimmt nicht mit mir?“) und sich bereits in Geschichte b) reflektiert sehen.

An dieser Stelle ist der Zeitpunkt erreicht, sich von der vermeintlich so klaren Unterscheidung zwischen a) und b) zu verabschieden – zu viel Druck, zu viel Wertung, zu wenig Wertschätzung für unsere individuelle Art, die Dinge anzugehen. An der Beobachtung, dass manche Veränderung eher von innen kommt, während andere von externen Umständen hervorgerufen wird, ist sicher was dran. Trotzdem ist diese Unterscheidung – wie die meisten binären Optionen – zu platt. Wie finden wir dann unsere Antwort auf die Eingangsfrage? Wie entsteht er denn nun, der Wandel in uns?

Hierzu brauchen wir die Hilfe von Identitäts-Profis und einen kleinen Exkurs in den Konstruktivismus. Michel Foucault konstatierte: „Ausgehend von der Vorstellung, dass unser Selbst uns nicht von Außen bestimmt sei, gibt es meines Erachtens nur eine praktische Konsequenz: Wir müssen uns als Kunstwerk selbst erschaffen.“ Im narrativen Ansatz der Psychologie wird diese Sichtweise aufgegriffen und davon ausgegangen, dass die Identität einer Person auf den eigenen Erzählungen basiert, oder wie der Neurologe Oliver Sacks sagte: „Jeder von uns ist eine einzigartige Erzählung, die fortlaufend zusammengesetzt wird, unbewusst durch, mit und in uns – durch unsere Wahrnehmungen, unsere Gefühle, Gedanken, Handlungen; und, nicht zuletzt, unsere Rede, unsere gesprochenen Erzählungen.“

Diese Sichtweise auf das Selbst hilft dabei, zu verstehen, wie Veränderung in uns entsteht – und zwar ohne, dass wir uns in Fragen nach dem Kausalzusammenhang zwischen Innen und Außen verlieren müssen. Demnach entsteht die Motivation zur Veränderung dadurch, dass „ein Kernaspekt unserer narrativen Identität herausgefordert wird und wir uns neuen Geschichten und anderen Aspekten unseres Selbst öffnen können.“ (vgl. Drake: Narrative Coaching, S. 73 (eigene Übersetzung)). Immer dann, wenn unsere Grundbedürfnisse, wie zum Beispiel das Bedürfnis danach, unseren Standort zu kennen (zu sein) und dem nach Bewegung (zu werden) in ein Spannungsverhältnis geraten, fängt der Wind der Veränderung an, durch unser eigenes Narrativ zu wehen. (vgl. ebd., S. 105). Das ist der Moment, an dem wir uns beginnen, Fragen zu stellen. Nicht unbedingt gleich mit der Tragweite, wie die Fragen in John Streleckys wunderbarer Erzählung Das Café am Rande der Welt („Warum bin ich hier?“ „Habe ich Angst vor dem Tod?“ oder „Führe ich ein erfülltes Leben?“). Es können auch ganz leise, harmlos wirkende, Fragen sein, wie „Was mache ich hier eigentlich?“ „Was kommt als nächstes?“ „Wo sehe ich mich in einem Jahr?“. So oder so sind diese Fragen nicht zu unterschätzen, sie haben mächtigen Einfluss auf unsere Zukunft. „The first question you ask is fateful“ – „Die erste Frage, die du stellst, ist schicksalhaft“, sagte nicht ohne Grund David Cooperrider, der Gründungsvater der Theorie der Appreciative Inquiry.

Und woran merke ich nun, dass Veränderung im Entstehen ist? Das, liebe Leserinnen und Leser, ist doch eine Steilvorlage für eine kleine Selbstreflektion, die uns alle bis zum nächsten Eintrag bei Laune hält:

Mit einem Blick auf eine wichtige Veränderung in meinem Leben:
Abbildung 3: Reflektionsfragen Eintrag 2

Im nächsten Eintrag geht es um die Hürden der Veränderung: Was hindert uns? Wie kann man dennoch den ersten Schritt machen?

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