Worüber reden wir hier eigentlich?

Eintrag 1 |

Würde man eine Liste mit Sätzen machen, die fast jeder Mensch mindestens einmal in seinem Leben äußert, würde „Ich möchte endlich mal ankommen“ sicher weit oben rangieren. Ob wutentbrannt auf einer Radtour in den Gegenwind gerufen, sehnsüchtig im Karrierecoaching mit einem glücklichen Seufzer konstatiert („…, dass ich das endlich mal zu sagen traue.“) oder zum Ende einer Beziehung leise, resigniert ausgehaucht – Ankommen wirkt für die meisten Menschen erstrebenswert. Allein in meinem Kopf entstehen auf Anhieb zahlreiche positive Assoziationen:

Mindmap "Ankommen"
Abbildung 1: Mindmap „Ankommen“ (eigene Darstellung)

Die Vorstellung vom Ankommen, egal ob zuhause, an einem Ziel, bei sich oder einfach am Ende einer Anstrengung, fühlt sich nach Entspannung und Geborgenheit an.

Zeit also für eine kleine Disruption:

Was, wenn dieses kuschelige Gefühl, dass wir damit verbinden, genauso eine Illusion ist wie das Ankommen selbst? Was, wenn die Wirkungskette in unserer dem Begriff anheftenden Mindmap sich im Weiterdenken zu rasch erschöpft, in Repetition übergeht oder so unklar wird, dass wir uns vor einer Wand von Fragezeichen wiederfinden? An einem Beispiel:

Im Märchen rettet das Monster den Prinzen und wird danach wieder in seine ursprüngliche Form – die einer wunderschönen Prinzessin – zurück verwandelt. Es gibt eine Hochzeit und beide leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage, sind also, genau: angekommen. Abgesehen davon, dass so kein Cliffhanger zu einer erfolgreichen zweiten Staffel entstehen kann, kommen mir eine Menge Fragen. Hier nur eine kleine Auswahl:

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Abbildung 2: Wahlzettel „Alternativen zum Ankommen“
  • Prinzessin und Prinz haben was geschafft, können endlich mal Ausruhen und Kraft tanken. Aber wozu eigentlich? Sie haben doch das Endziel erreicht. Was passiert nun mit der neu gewonnenen Energie, wenn die beiden so in sich ruhen, dass sie tiefenentspannt durchs Leben gehen können?
  • Sie haben ihr Ziel erreicht und leben in fortwährender Sicherheit und Ausgeglichenheit, aber wovon träumen sie dann noch? Verschwindet der Wunsch nach Veränderung, der noch kurz vorher dazu beigetragen hat, dass dieses endlose Glück entstehen konnte?
  • Was passiert mit dem Gefühl des „Angekommen Seins“, wenn sich die Umstände doch nochmal ändern – Kinder kommen, einer der Partner seine Arbeit verliert oder eine Pandemie ausbricht?
  • Was passiert mit dem Gefühl des „Angekommen Seins“, wenn sich nichts ändert? Verblasst das Glück so wie die Erinnerung an das, was vorher war?
  • Und übrigens: Was sind eigentlich die Alternativen zum Ankommen? Haben wir die Wahl?

Diesen, zugegeben sehr kritisch formulierten Fragen zum Trotz, hat der Wunsch, ab und an irgendwo ankommen und verweilen zu dürfen, seine klare Berechtigung. Wir leben in einer von Unsicherheit geprägten, komplexen Welt. In dieser VUCA-Welt (Volatility/Unbeständigkeit, Uncertainty/Unsicherheit, Complexity/Komplexität, Ambiguity/Mehrdeutigkeit), sucht jede und jeder von uns nach Halt, Stabilität und Balance. Manchmal sehnen wir uns regelrecht nach Stillstand – vorübergehend, wenn alles gut läuft.

Es liegt auf der Hand, dass es bei diesem Wunsch nicht darum geht, für immer und ewig in Stille zu verharren. Das Ziel ist es nicht, nach der Radetappe einfach fortan am Havel-Elb-Radweg auf dem nächstbesten Campingplatz zu leben. Der Wunsch besteht vielmehr darin, nach dem anstrengenden Anfahren gegen den Wind, die Füße hochlegen zu können, um am nächsten Tag erfrischt in eine neue Etappe zu starten. Die meisten Menschen ruhen sich nicht nach dem nächsten Karriereschritt einfach immer weiter auf alten Lorbeeren aus, sondern bauen ihre Erfahrungen aus, setzen sich neue Ziele und entwickeln sich weiter. Und vermutlich kann man das stark verkürzte Ende der klassischen Märchen auch so interpretieren, dass die Dinge, die nach der großen Anstrengung kommen, vergleichsweise gut zu meistern sind – jetzt, wo man die übelsten Widerstände besiegt hat, dabei viel gelernt und zu neuer Kraft gefunden hat. Vielleicht ist das Liebespaar so glücklich, weil beide weiterhin für Abwechslung sorgen und sich auf Neues einlassen – auf dem stabilen Boden einer ausgeglichenen Beziehung und in einem sicheren Zuhause.

Und an diesem Punkt der Betrachtung wird der Begriff des endgültigen Ankommens zur Illusion. Er ist viel zu passiv, um das zu beschreiben, was in all diesen Beispielen tatsächlich abgelaufen ist. „Sie sind angekommen“ klingt, als ob das den Protagonisten einfach so passiert wäre. Dabei haben sie etwas erreicht, sind etwas Neues geworden, aus eigener Kraft und/oder mit fremder Hilfe. Sie sind handelnde, sich stetig wandelnde Personen.

Und genau darüber reden wir hier: Über das Werden und den Wandel und das Sein.

Der Begriff Morphogenese steht in der Biologie für „die Gesamtheit der Entwicklungen von Organen, Organismen oder einzelnen Zellorganellen. […] Im Rahmen der Morphogenese erhalten lebende Strukturen ihre Gestalt.“ Während der Prozess laut dem zitierten Onlinelexikon für den Menschen nach dem Entstehen des vollständig entwickelten Lebewesens endet, gehe ich einen Schritt weiter: Im Morphogenetischen Blog erfährt der Begriff eine Übertragung in die Welt der Persönlichkeit, der Teams und der Organisationen. Ich folge dem bereits vielfach geäußerten und naheliegenden Gedanken, dass unsere Entwicklung nie endet – wir werden niemals „fertig“ und das begründet unser Sein. „Denn was wäre Sein ohne Werden? – eine unerkennbare, gestaltlose Masse ohne Struktur und Leben; und was wäre Werden ohne Sein? – eine unerkennbare Bewegung ohne Richtung und Zweck, eine Veränderung von nichts zu nichts.“ (Heraklit von Ephesos, in Pleines: Heraklit. Anfängliches Philosophieren, S. 80)

So logisch es auch hier klingen mag, dass Werden und Sein einander bedingen, so schwierig sind häufig Situationen des Wandels für uns als Menschen, sei es als Einzelpersonen oder als Gruppe. Häufig stoßen wir vor und während der eigentlichen Veränderung auf innere Hürden und äußere Widerstände. Wir müssen viel Kraft und Mut aufbringen, um loszulegen und dann auch weiterzumachen. Manchmal scheitern wir oder müssen eine Zielkorrektur vornehmen. In diesem Blog möchte ich daher meine Gedanken als Coach und Moderatorin zu Veränderungs- und Entwicklungsprozessen teilen und Ihnen und euch Impulse zur Reflektion in Zeiten des Wandels, des Werdens und des Seins zu geben.

Am Ende eines jeden Eintrags gibt es was zur eigenen Inspiration und einen Ausblick auf den nächsten Blogeintrag:

Reflektionsfragen Eintrag 1
Abbildung 3: Reflektionsfragen Eintrag 1

Im nächsten Eintrag geht es um den Wandel in uns selbst. Also: Wie entsteht Wandel? Was treibt/zieht uns zur Veränderung? Wie merkt man, dass Veränderung ansteht?

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